Entwicklung einer Material-Struktur-Symbiose für gripoptimierte Oberflächen

BMWK IGF 01IF22128N | Laufzeit: 01.2022 – 12.2024 Dr. Susanne Fritz, FILK Freiberg; Dr. Christine Rincke, FILK Freiberg
  • Kategorien:
  • Funktionale Schichtsysteme
  • Technische Textilien/Composite
  • Verfahren/Prozesse
  • Werkstoffcharakterisierung

Ausgangssituation

Gripoptimierte Oberflächen werden in vielen Bereichen des Sports, der Medizin und der Technik benötigt, um eine sichere Handhabung von Produkten zu ermöglichen. Unabhängig vom Einsatzgebiet besteht dabei immer die Herausforderung, einen geeigneten Kompromiss zwischen sich gegenseitig konkurrierenden Eigenschaften zu erzielen. Bei der Vielzahl an vorhandenen Abhängigkeiten ist eine gezielte Produktoptimierung sehr schwer, zumal weder anwendungsbereite Modelle noch umfassende Simulationsmethoden zur Verfügung stehen.

Projektziel

Ziel des Forschungsvorhabens war es, durch Verfahren zur Erzeugung von Material-Struktur-Symbiosen Grundlagenwissen für die Entwicklung neuer, in der Mensch-Technik-Umwelt-Interaktion einsetzbarer Produkte mit gripoptimierten Oberflächen zu gewinnen. Als konkretes Anwendungsbeispiel wurde dabei die extreme Belastungssituation eines Handballs gewählt. Dieser muss sowohl im Trockenen als auch in Gegenwart von Feuchtigkeit oder Staub im Kontakt mit dem Spieler oder mit dem Boden einen optimalen Grip aufweisen, um die erforderliche Ballkontrolle während des Spiels zu gewährleisten. Dies ist insbesondere dann herausfordernd, wenn wie angekündigt das aktuell zur Verbesserung der Ballkontrolle genutzte Harz verboten wird.

Lösungsweg

Im Forschungsvorhaben wurden zunächst handballtypische Belastungsbedingungen und Eigenschaften handelsüblicher gripoptimierter Handbälle erfasst. Auf Basis des so generierten Anforderungsprofils wurde ein gesundheitlich unbedenkliches PVC-Kunstleder hinsichtlich eines weichen Griffs, hoher Reibwerte und gleichzeitig guter Verschleißfestigkeit optimiert. Dieses Kunstleder wurde anschließend mit Mikrostrukturen versehen, welche den Grip des Materials – vor allem in Gegenwart von Feuchtigkeit oder Staub – zusätzlich erhöhen sollten. Verschiedene Mikrostrukturen wurden dazu zunächst simulativ getestet und anschließend über Laserablation in ein Werkzeug und über Umkehrbeschichtung in das Kunstleder eingebracht. Die erhaltenen, mikrostrukturierten Oberflächen wurden bezüglich handballrelevanter Belastungen auf ihr Reibungs-, Verschleiß- und Haftungsverhalten sowie auf die subjektive menschliche Wahrnehmung von Haptik und Grip geprüft und mit handelsüblichen, gripoptimierten Handballoberflächen verglichen. Die beiden besten Mikrostrukturen wurden zum Schluss genutzt, um Handbälle als Technologiedemonstratoren zu fertigen und unter Praxisbedingungen zu testen.

Ergebnisse | Nutzen

Handelsübliche Handbälle mit gripoptimierten Oberflächen, die mit dem Label „harzfrei“ werben, sind in der Regel unstrukturiert. Sie besitzen glatte Oberflächen und weisen höchstens sehr feine lederähnliche Narbungen oder einzelne Vertiefungen auf. Das führt dazu, dass sie besonders bei Feuchtigkeit oder Verschmutzung schnell ihre guten Gripeigenschaften verlieren können. Der Ball mit den höchsten Haftungs- und Reibungswerten besitzt eine selbstklebende Oberfläche als Harzersatz, welche aber von den Probanden als sehr unangenehm wahrgenommen wird und im Spielbetrieb schnell in ihrer Wirkung nachlässt. Im Forschungsvorhaben sollte deshalb ein mikrostrukturiertes Material ohne selbstklebende Oberfläche entwickelt werden.
Das dafür optimierte Kunstleder besitzt einen dick-geschäumten Mehrschichtaufbau, ist dadurch sehr weich und ermöglicht so beim Greifen ein tiefes Eindringen der Finger ins Material. Auch ohne schützende Lackierung ist es unter den handballtypischen Belastungsbedingungen im Vergleich zu handelsüblichen Handbällen sehr verschleißfest und zeichnet sich durch eine gute Haptik aus. Um den geschäumten Aufbau des Materials nicht zu zerstören, wurde die Umkehrbeschichtung als Strukturierungsverfahren im Forschungsvorhaben qualifiziert. Für die Strukturoptimierung wurden die Teststrukturen in ein dünnes Titanblech eingebracht (Abb. 1) und im Labcoater über Umkehrbeschichtung auf das Kunstleder abgeformt. Nach Optimierung aller beteiligten Prozesse konnte eine sehr hohe Präzision sowohl für die Herstellung der Strukturen im Werkzeug als auch für deren Abformung auf das PVC-Kunstleder erreicht werden. Für den industriellen Einsatz ist das Verfahren sofort auf eine Umkehrbeschichtung auf Umkehrpapier übertragbar. 
Erhabene Mikrostrukturen mit relativ großen Abmessungen (500-1000 µm) konnten bei den Untersuchungen den subjektiv wahrgenommenen Grip der Oberflächen besonders  stark verbessern – insbesondere in Gegenwart von Feuchte, wo selbst hochreibende glatte Oberflächen sehr schnell rutschig werden. Die hergestellten Technologiedemonstratoren (Abb. 2) übertrafen damit sowohl in ihren tribologischen Eigenschaften als auch bezüglich der subjektiven Wahrnehmung von Grip und Ballkontrolle die betrachteten handelsüblichen Bälle. Allerdings musste im Forschungsvorhaben auch festgestellt werden, dass der subjektiv wahrgenommene Grip aktuell nicht durch objektiv messbare tribologische Größen beschreibbar ist. Bezüglich der Objektivierung wahrgenommener Gripeigenschaften besteht also noch erheblicher Forschungsbedarf.
Mit dem Forschungsvorhaben wurden Erkenntnisse zu verschiedenen mikrostrukturierten Oberflächen, zu Verfahren für deren großflächige Herstellung sowie zu deren Wirkung auf die tribologischen Eigenschaften gesammelt. Diese können in verschiedenen Branchen z. B. für Sportartikel, Medizingeräte oder Technikprodukte verwendet werden, um Oberflächen bezüglich eines hohen Grips für eine sichere Interaktion zu optimieren.
 

Dank

Das IGF-Vorhaben 01IF22128N der Forschungsvereinigung „FILK Freiberg Institute gGmbH, Meißner Ring 1-5, 09599 Freiberg“ wurde über die AiF und DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der „Industriellen Gemeinschaftsforschung und –entwicklung (IGF)“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir bedanken uns für die gewährte Unterstützung.

Kontakt

FILK Freiberg Institute gGmbH
Meißner Ring 1-5
D-09599 Freiberg

Fon: +49-(0)3731-366-0
Fax: +49-(0)3731-366-130
E-Mail: mailbox@filkfreiberg.de