Molekulare Simulation des Mehrkomponentensystems PVC-Weichmacher für die Entwicklung nachhaltiger, langlebiger und gesundheitlich unbedenklicher (Verbund-) Materialien

BMWK IGF 01IF22362N | Laufzeit: 07.2022 – 12.2024 Dr. Susanne Fritz, FILK Freiberg; Dr. Maren Lehmann, FILK Freiberg
  • Kategorien:
  • Chemie der Polymere
  • Funktionale Schichtsysteme
  • Technische Textilien/Composite
  • Verfahren/Prozesse
  • Werkstoffcharakterisierung

Ausgangssituation

Die für die Herstellung weicher PVC-Produkte benötigten Weichmacher können durch Migrationsprozesse mit der Zeit aus dem Produkt entweichen, was nicht nur mit der Verschlechterung von Produkteigenschaften, sondern auch mit Risiken für Gesundheit und Umwelt verbunden sein kann. Der Ersatz klassischer Phthalat-Weichmacher durch neue, unbedenkliche Weichmacher ist dabei eine aktuelle Herausforderung, die mit hohem Aufwand entlang der gesamten Wertschöpfungskette für Forschung, Entwicklung und Prüfung verbunden ist und lange Markteinführungszeiten verursacht.

Projektziel

Ziel des Projektes war es, molekulardynamische Simulationen für den Entwicklungsprozess nachhaltiger, langlebiger und gesundheitlich unbedenklicher Weich-PVC-Produkte nutzbar zu machen. Hierfür sollten Simulationsmethoden entwickelt werden, welche es ermöglichen, industrierelevante Materialeigenschaften von PVC-Weichmacher-Mischungen vollständig computergestützt rein auf Basis der Zusammensetzung vorherzusagen und damit eine Vorab-Optimierung von Weich-PVC-Formulierungen durchzuführen (Abb. 1).

Lösungsweg

Um zu gewährleisten, dass die entwickelten Simulationsmethoden praxistaugliche und sinnvolle Werte für die anvisierten Materialeigenschaften liefern, wurden zu Vergleichs- und Bewertungszwecken PVC-Weichmacher-Plastisole mit vier verschiedenen Weichmachern (DINP, DINCH, TOTM und PETV) und je fünf verschiedenen Konzentrationen (45–85 phr) hergestellt und an einer Laborbeschichtungsanlage über Umkehrbeschichtung zu Folien verarbeitet. Die Plastisole sowie die Folien wurden unter vergleichbaren Bedingungen hinsichtlich ihrer industrierelevanten Eigenschaften (z. B. Dichte, Glasübergang, Gelier-, Deformations- und Migrationsverhalten) geprüft. Die verwendeten Formulierungen wurden in Computermodelle übertragen und digitale Zwillinge für eine homogene PVC-Weichmacher-Mischung auf atomarer Ebene erstellt. An diesen digitalen Zwillingen wurden verschiedene Simulationsmethoden zur Berechnung der Materialeigenschaften getestet, für das Material optimiert und hinsichtlich der Vergleichbarkeit zum Experiment bewertet (Abb. 2).

Ergebnisse | Nutzen

Im Forschungsvorhaben konnten erfolgreich Simulationsprotokolle entwickelt werden, mit denen automatisiert digitale Zwillinge für Hart-PVC, reine Weichmacher und beliebige PVC-Weichmacher-Mischungen generiert werden können. Diese virtuellen Abbilder der Materialien auf atomarer Ebene ermöglichen es, Materialeigenschaften vollständig computergestützt (in-silico) vorherzusagen oder Prozesse auf atomarer Ebene zu analysieren und besser zu verstehen.
Für Gleichgewichtseigenschaften wie beispielsweise die Dichte konnten Vorhersagen mit einer sehr hohen Übereinstimmung zum Experiment erzielt werden (Abweichung 1–2 %), was die grundsätzliche Eignung der eingesetzten Simulationsmethodik belegt. Nichtgleichgewichtseigenschaften, wie etwa der Elastizitätsmodul oder der Glasübergang, erfordern eine externe mechanische oder thermische Beanspruchung und stellen in der Simulation eine größere Herausforderung dar. Für Hart-PVC sowie reine Weichmacher konnten diese Eigenschaften mit hoher Genauigkeit prognostiziert werden. Bei Weich-PVC zeigte sich hingegen eine ausgeprägte Abhängigkeit dieser Eigenschaften von der Belastungsgeschwindigkeit – ein typisches Verhalten weicher polymerer Materialien. Da experimentelle Belastungsgeschwindigkeiten aufgrund der Skalenunterschiede nicht direkt in der atomaren Simulation verwendet werden können, muss die Geschwindigkeitsabhängigkeit für eine realitätsnahe simulative Vorhersage der experimentellen Materialeigenschaften bestimmt und berücksichtigt werden. Als erfolgsversprechender Ansatz stellte sich hier die Nutzung mathematischer Extrapolationsverfahren heraus, welche es erlaubten, die Skalenunterschiede zwischen Experiment und molekularer Simulation zu überbrücken und für die vier untersuchten Weichmacher gute Übereinstimmungen zum Experiment zu erreichen. 
Aufgrund der unterschiedlichen Zeitskalen lassen sich Migrationsprozesse in der Simulation derzeit nicht direkt analog zu experimentellen Verfahren abbilden. Allerdings ist es mit Hilfe von Simulationen sehr gut möglich, die Ursachen für die Migration, wie thermodynamische Triebkräfte, Diffusionsgeschwindigkeiten oder Verteilungsgrößen zu bestimmen, welche experimentell nur schwer zugänglich sind. Diese simulierten Größen können genutzt werden, um das experimentell beobachtete Migrationsverhalten besser zu verstehen. Außerdem scheint es möglich zu sein, eine Kombination dieser Größen zu nutzen, um zukünftig das experimentelle Migrationsverhalten auch gezielt quantitativ vorherzusagen.
Langfristiges Ziel ist es, mit Hilfe der Simulation bereits in frühen Entwicklungsphasen Aussagen zur Eignung von Weichmachern und zur optimalen Zusammensetzung von Rezepturen treffen zu können – noch bevor kosten- und zeitintensive Laborversuche notwendig werden. Damit leistet das Verfahren einen Beitrag zur effizienteren Entwicklung und Optimierung neuer Weich-PVC-Produkte und bietet Potenzial zur signifikanten Reduzierung von Entwicklungszeit und -kosten.

Dank

Das IGF-Vorhaben 01IF22362N der Forschungsvereinigung „FILK Freiberg Institute gGmbH, Meißner Ring 1-5, 09599 Freiberg“ wurde über die AiF und DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der „Industriellen Gemeinschaftsforschung und –entwicklung (IGF)“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir bedanken uns für die gewährte Unterstützung.

Kontakt

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