Ausgangssituation
Aktuell sind Silikonkunstleder vorrangig von asiatischen Herstellern im europäischen Raum am Markt verfügbar. Der maßgebliche Nachteil der derzeit verfügbaren Produkte ist deren mangelhafte Abriebfestigkeit und Haptik. Besonders für die Anwendung als Polsterkunstleder im Objekt- oder Mobilbereich werden hohe Anforderungen an die mechanischen Eigenschaften gestellt, die von Standardsilikonen nicht erfüllt werden. Im Besonderen betrifft dies das Abriebverhalten. Der Abrieb für Objektkunstleder wird nach der Norm DIN EN ISO 5470-2 geprüft. Für etablierte PVC- oder PU-Kunstleder wird in der Regel eine Abriebbeständigkeit trocken von 100.000 Touren und mehr angegeben. Die derzeit am Markt verfügbaren Silikonkunstleder weisen Abriebbeständigkeiten von <51.200 Touren auf und liegen damit weit unter den geforderten Werten. Diese niedrige Abriebbeständigkeit schränkt auch den Einsatz von Silikonbeschichtungen in anderen Bereichen, z. B. für Schutzkleidung, stark ein.
Ein weiteres Kriterium für die Akzeptanz von Silikonkunstleder ist eine nicht blockende Oberflächenbeschaffenheit, die einerseits eine angenehme Haptik und andererseits verminderte Adhäsion von Schmutzpartikeln bewirkt. Besonders in Anwendungsbereichen, in denen der Nutzer in direkten Kontakt mit dem Material kommt, hat eine angenehme Haptik als Maß für einen hohen Komfort einen besonderen Stellenwert. Das Komfortempfinden stellt hier ein maßgebliches Kaufargument dar. Die nachteilige Haptik von Silikonkunstleder und Silikontextilien im Allgemeinen erweist sich als weitere Hürde für deren Akzeptanz am Markt.
Projektziel
Ziel war die Entwicklung eines haptikoptimierten, abriebfesten Silikonkunstleders, wobei anstelle der üblichen Lackapplikation die erforderliche Oberflächenmodifikation mittels VUV-Bestrahlung erfolgte. Um das Ziel zu erreichen, mussten die Formulierung der Silikonrezeptur exakt auf die favorisierte Oberflächenbehandlungsmethode der VUV-Bestrahlung abgestimmt und die Prozessbedingungen auf die Erfordernisse des Materialsystems angepasst werden. Auf diese Weise sollte die bisher bei der VUV-Modifizierung auftretende Rissbildung in den oberflächennahen Bereichen verhindert oder auf ein Minimum reduziert werden.
Lösungsweg
Zum Erreichen der Zielstellung wurden physikalische (A) und chemische (B) Modifikationen der Silikonbeschichtung untersucht.
A) Durch die VUV-initiierte Vernetzung entsteht ein oberflächennaher Bereich hoher Shore-Härte, der in Kombination mit darunterliegenden Schichten niedriger Shore-Härte physikalisch bedingt die Ausbildung bzw. Ausbreitung von Spannungsrissen fördert. Dies wurde beim Schichtaufbau des Silikonkunstleders berücksichtigt. Insbesondere für den Deckstrich wurde der Einfluss der Härte auf die Rissausbreitung systematisch untersucht und anwendungsbezogen optimiert.
B) Auf molekularer Ebene sollte die Rissausbildung durch Variation der Silikon-Kettenlänge sowie der Inkorporation von Kettenabbruchstellen in Form spezieller Substituenten beeinflusst werden. Beide Varianten führen zu einer Verkürzung der oxidierbaren Kettensegmente (s. Abb.1).
Unter Verwendung kommerziell erhältlicher VUV-Lampen (Quecksilberdampflampe, Xenon-Excimerlampe) wurden zunächst in umfangreichen Reihenuntersuchungen Silikondeckstriche unterschiedlicher Formulierung bestrahlt und auf Rissbildungsverhalten hin geprüft. Dabei wurde sukzessive die Formulierung für die Silikonkunstleder optimiert.
Ergebnisse | Nutzen
Als Ergebnis gelang es, Silikonkunstleder mit angenehmer Haptik und vorteilhaftem Reibverhalten bei gleichzeitig minimaler Rissbildung herzustellen. Folgende Erkenntnisse wurden erarbeitet:
Die Integration von Q-Gruppen in das Basispolymer erwies sich als effektive Methode zur Vermeidung der Rissbildung.
Es wurde ein Prozessfenster erarbeitet, bei dem Rissbildung vermieden werden kann.
Die oberflächenchemische Charakterisierung ergab, dass die Proben im vorteilhaften Prozessfenster oberflächennah a) oxidiert sind, aber nicht vollständig, b) einen stark erhöhten E-Modul aufweisen c) bei einer Dehnung < 20 % keine Defekte aufweisen.
Die Haptik ist nicht vollumfänglich messtechnisch abbildbar, weshalb eine Haptikstudie zur Bewertung der VUV-modifizierten Silikonkunstleder durchgeführt wurde. Laut Haptikstudie wurde das beste Reibgefühl und Gesamtempfinden für geprägtes Q-gruppenhaltiges Silikonkunstleder mit 4-facher VUV-Bestrahlungsdosis (Hg-Lampe) ermittelt.
Die anwendungsnahen Prüfungen bzgl. chemischer/mechanischer Beständigkeit (Reibechtheit, Dauerfaltverhalten, Fleck- und Chemikalienbeständigkeit) und Brandverhalten wurden bestanden.
Alterungstests (Klimawechsel-/ Salzsprühnebeltest) zeigten visuell keinen negativen Einfluss.
Eine abschließende Wirtschaftlichkeitsbetrachtung belegt die Konkurrenzfähigkeit VUV-modifizierter Silikonkunstleder gegenüber einer Lackausrüstung der Oberfläche
Aufgrund des breiten Anwendungsspektrums von Silikonelastomeren können die Ergebnisse über die Textilindustrie hinaus in vielen weiteren Branchen (Automobilindustrie, Elektronikindustrie, Medizin- und Lebensmittelbereich) Anwendung finden. Aufgrund der Vorteile des Verfahrens wird die Umsetzung gerade für KMU als wirtschaftlich sehr interessant eingestuft, zudem die Technik skalierbar und somit anpassbar auf geplante Margen ist.
Dank
Das IGF-Vorhaben 22286 BG der Forschungsvereinigung „FILK Freiberg Institute gGmbH, Meißner Ring 1-5, 09599 Freiberg“ wurde über die AiF und später durch die DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der „Industriellen Gemeinschaftsforschung und –entwicklung (IGF)“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir bedanken uns für die gewährte Unterstützung.

