Reibinstabilitäten von Interieurmaterialien bei Klimawechsel

BMWK INNO-KOM 49MF200041 | Laufzeit: 09.2020 – 02.2023 Susanne Fritz, FILK Freiberg
  • Kategorien:
  • Leder
  • Technische Textilien/Composite
  • Werkstoffcharakterisierung

Ausgangssituation

Laut Automobilindustrie machen Störgeräusche aus dem Automobilinnenraum einen Anteil von 10 % der Reklamationen aus und verursachen damit Kosten in Millionenhöhe. Abhilfe im fertigen Fahrzeug geht mit sehr hohem personellen und/oder technischen Aufwand einher, weshalb präventiv Materialien und Komponenten in der frühen Designphase und vor dem Einbau ins Fahrzeug auf ihr potentielles Risiko zur Verursachung von z. B. Stick-Slip-Störgeräuschen hin zu beurteilen sind. In der aktuellen Stick-Slip-Norm VDA 230-206 wird unter Normklima-Verhältnissen (23 °C, 50 % relative Feuchte) und damit unter definierten Gleichgewichtsbedingungen geprüft. Es ist jedoch bekannt, dass besonders der Stick-Slip-Effekt von einer Vielzahl an Bedingungen, wie den Materialeigenschaften, Belastungsbedingungen und Umgebungsbedingungen (z. B. Temperatur und Feuchte) abhängig ist. Im Gegensatz zu den definierten Gleichgewichtsbedingungen in der Norm befinden sich die Materialien in der Praxis während der Nutzung nahezu ständig in einem klimatischen Ungewicht. Dieser Sachverhalt soll zukünftig bei der Materialprüfung berücksichtigt werden.

Projektziel

Ziel des Projektes war daher die Entwicklung einer Methode zur effektiven Prüfung des Stick-Slip-Verhaltens von weich-elastischen Interieurmaterialien unter klimatischen Nichtgleichgewichtsbedingungen. Diese Methode sollte realitätsnah, zuverlässig, standardisierbar und effizient sein, um auf Akzeptanz in der Automobilbranche zu stoßen und eine Vereinheitlichung von Prüfungen zu gewährleisten. Zudem sollte damit der Zulieferindustrie eine bessere Grundlage zur Optimierung ihrer Materialien oder Komponenten hinsichtlich der Störgeräuschproblematik an die Hand gegeben werden.

Lösungsweg

Zu den weich-elastischen Interieurmaterialien zählen vor allem Leder, Kunstleder, Dichtungen, Textilien und Kunststoffe aller Art. Muster industrieller Standardprodukte dieser Materialien wurden vorab in einem Screening auf ihr Stick-Slip-Verhalten im Normklima getestet. Für weitere Untersuchungen wurden vorzugsweise Materialien ausgewählt, die eine Stick-Slip-Prüfung nach aktueller VDA 230-206 bestehen (Risikoprioritätszahl: RPZ ≤ 3) sowie zum Zweck der Methodenoptimierung einige Vertreter mit schlechtem Stick-Slip-Verhalten (RPZ > 3). Insgesamt standen damit 8 Leder, 7 Kunstleder, 6 Textilien, 3 geometrisch komplex geformte Automobildichtungen, 2 Elastomerplatten und 4 Kunststoffplatten zur Verfügung.

Zunächst wurde ein Klimaszenario entwickelt, welches einerseits die Praxisbedingungen von kalt/feucht (Winterszenario) über heiß/trocken (Sommerszenario) bis hin zu angenehm (Normklima) abbildet und andererseits im Klimaschrank auch realisiert werden kann. An bestimmten Klimapunkten werden Stick-Slip-Messungen am Stick-Slip-Prüfstand, welcher sich im Klimaschrank befindet, durchgeführt. Die Stick-Slip-Messungen erfolgen mit einer sinusförmigen Anregung, sodass das Materialverhalten in einem großen Geschwindigkeitsbereich erfasst wird. Die Ergebnisse dieser Messungen werden entsprechend Abbildung 1 dargestellt. Die Prüfung und Auswertung umfasste folgende Schritte:

  • Klimatisierung der Proben für mindestens 24 h auf Normklima

  • Standard-Stick-Slip-Prüfung nach VDA 230-206 bei Normklima

  • Starten des Winterklimatisierungsprogrammes über Nacht

  • Starten des Messklimaprogrammes (Klimaschrank) und Stick-Slip-Messprogrammes (Prüfstand)

  • Standard-Stick-Slip-Prüfung nach VDA 230-206 bei Normklima (Charakterisierung Endzustand)

  • Segmentweise Berechnung der Stick-Slip- und Reibungswerte (Bewertung Materialverhalten)

 

Ergebnisse | Nutzen

Im durchgeführten Forschungsvorhaben konnte nachgewiesen werden, dass klimatische Nichtgleichgewichtsbedingungen sehr gut dazu geeignet sind, in kurzer Zeit umfangreiche Informationen über das Stick-Slip-Verhalten von Interieurmaterialien unter praxisnahen Bedingungen zu sammeln. Voraussetzung dafür ist, dass schnelle Prüfzyklen verwendet werden, sodass innerhalb eines Prüfzyklus‘ die klimatischen Bedingungen als konstant angenommen werden können. Es hat sich gezeigt, dass Prüfungen unter solchen Bedingungen sehr gut reproduzierbar sind.

Zur Durchführung der Stick-Slip-Prüfung unter klimatischen Nichtgleichgewichtsbedingungen wurde eine FILK-interne QMA erstellt, welche von der Probenvorbehandlung bis zur Auswertung alle Arbeitsschritte genau festlegt und so eine reproduzierbare Prüfung ermöglicht. Für die Anwendung der Prüfmethode außerhalb des FILK wird eine zeitnahe Umsetzung in eine allgemeine Norm (VDA-Norm oder DIN-Norm) angestrebt.

Mithilfe der entwickelten Prüfung können Materialpaarungen zukünftig noch besser vorab auf ihr Risiko, Störgeräusche hervorzurufen, getestet werden. Damit kann der Einbau ungünstiger Materialien verhindert werden – zukünftige Störgeräuschpegel im Fahrzeug wie auch die einhergehende Reklamationsrate können somit minimiert und Nachbesserungskosten eingespart werden.

   

Bericht anfragen

   

Dank

Das Forschungsvorhaben Reg.-Nr.: 49MF200041 „Reibinstabilitäten von Interieurmaterialien bei Klimawechsel“ wurde anteilig vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages innerhalb des Förderprogramms „FuE-Förderung gemeinnütziger externer Industrieforschungseinrichtungen – Innovationskompetenz (INNO-KOM) – Modul Marktorientierte Forschung und Entwicklung (MF)“ über den Projektträger EuroNorm GmbH gefördert. Wir bedanken uns für die gewährte Unterstützung.

Kontakt

FILK Freiberg Institute gGmbH
Meißner Ring 1-5
D-09599 Freiberg

Fon: +49-(0)3731-366-0
Fax: +49-(0)3731-366-130
E-Mail: mailbox@filkfreiberg.de